Alfred Kurella wurde am 2. Mai 1895 in Brieg (Schlesien) geboren und verstarb am 12. Juni 1975 inBerlin (DDR). Er wuchs in der musisch-literarisch und humanistisch-weltbürgerlich geprägten Atmosphäre des deutschen Kulturbürgertums um die Jahrhundertwende auf. Kindheit und Jugend verbrachte er im Rheinland, besuchte in Bonn das Gymnasium. Geradlinig verlief der Weg von der demokratisch-liberalen Tradition des Elternhauses zu den Idealen der Jugendbewegung, wie sie 1913 auf dem Hohen Meißner proklamiert wurden. Ausbildung als Maler und Graphiker. 1914 Militärdienst bei der Feldartillerie. Im Oktober 1914 als Kanonier an die Westfront eingesetzt. Dort wurde er zum Kriegsgegner. Eine Ausstellung seiner Bilder im Sommer 1916 bot die Gelegenheit zum Heimaturlaub, von dem er nicht mehr an die Front zurückkehrte. Bei Loretto war er zweimal verschüttet worden und simulierte nun Sprachstörungen. Wurde zeitweilig kriegsuntauglich geschrieben. Unter dem Einfluss Kurt Hillers wurde er zum Aktivisten. Die illegale Arbeit des "Berliner Kreises" brachte die Verbindung zur späteren Freien Sozialistischen Jugend (FSJ). Seit 1917 stand er unter Polizeiaufsicht, verließ Berlin und ging er über Leipzig, Dresden und Bensheim bei Ausbruch der Revolution nach München. Im Nov. 1918 trat er der Kommunistischen Partei bei und kehrte nach der Ermordung Kurt Eisners nach Berlin zurück. Als Kurier kam er im Frühjahr 1919 nach Moskau. Die Begegnung mit Lenin wurde, wie seine Erinnerungen zeigen, zum Angelpunkt seiner weiteren Entwicklung. Nunmehr stand er als Parteifunktionär und Schriftsteller ganz im Dienst des Kommunismus, zunächst in der Jugendinternationale (1919 Mitglied des russ. Komsomol, 1920 - 24 Mitglied des ZK und des Büros des ZK des Komsomol; 1919 Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) und 1. Sekretär ihres Exekutivkomitees in Berlin, seit 1921 in Moskau), dann in der Komintern (1924 Direktor der Zentralen Parteischule des ZK der französischen KP in Paris; 1926 stellvertretender Leiter der Agitprop-Abteilung der KJI in Moskau; 1927 Leiter der Abteilung Bildende Kunst im Volkskommissariat für Bildungswesen und zugleich Redakteur für Literatur und Kunst der žKomsomolskaja Prawda. Er kehrte 1929 nach Berlin zurück, unterrichtete bis 1932 an der Marxistischen Arbeiter-Schule (MASCH) und war publizistisch für die žLinkskurve, žLiteratur der Weltrevolution und den Roten Aufbau tätig. Im Auftrag der žArbeiter-Illustrierten-Zeitung schrieb er 1931 eine aufsehenerregende Reportage gegen den ital. Faschismus. Seit Frühjahr 1934 lebte er in Moskau, war 1934 - 35 perslönlicher Referent Dimitroffs, 1935 - 41 Leiter der Bibliographischen Abteilung der Staatsbibliothek für Auslandsliteratur Durch die Machtergreifung Hitlers war er 1933 zum Emigranten geworden und erwarb 1941 die sowjetische Staatsangehörigkeit. 1941-45 war er Oberredakteur in der VII. Abteilung der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee und seit 1943 stellvertretender Chefredakteur der Zeitung des Nationalkomitees Freies Deutschland. Er lebte 1946-49 im abchasischen Bergdorf Pskhu, wo er sich neben eigenen literarischen Arbeiten vor allem mit Übersetzungen beschäftigte. Im Februar 1954 kehrte er nach Deutschland zurück und war seitdem als Kulturfunktionär der DDR maßgeblich an der Ausarbeitung der sozialistischen Kulturpolitik (Bitterfelder Konferenz) beteiligt. 1955 war er Mitbegründer und bis 1957 Direktor des Instituts für Literatur Johannes R. Becher in Leipzig. Er wurde Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes und Mitglied der Akademie der Künste. 1957 - 63 war er Sekretär der Kulturkommission beim Politbüro der SED und damit oberster Kulturfunktionär der DDR, seit 1963 Mitglied des ZK der SED, 1958-63 Kandidat des Politbüros des ZK der SED und seit 1958 Abgeordneter der Volkskammer. 1965 erhielt er das Amt des Vizepräsidenten der Akademie der Künste und promovierte noch 1968 an der Univ. Jena zum Dr. phil. Bis zu seiner Begegnung mit Lenin war sein Lebenslauf typisch für jenen Teil der deutschen Jugend, der aus der humanistisch gebildeten Welt des Bürgertums über dieJugendbewegung und dem Pazifismus zum Sozialismus kam. Die Jahre als Bildungsfunktionär des internationalen Kommunismus führten zur theoretischen Herausbildung des Sozialistischen Humanismus, den er als Kulturpolitiker der DDR forderte. Sein belletristisches Schaffen begann in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus. In beiden Romanen žDie Gronauer Akten (1954) und žKleiner Stein im großen Spiel (1961) setzte er sich mit dem politischen Verhalten der deutschen Intelligenz, ihrem Versagen gegenüber dem Nationalsozialismus, auseinander. Die Gründe sah er in der Dekadenz des Bürgertums; er forderte eine stärkere Integration des Politischen in das Menschliche. Erstaunlicherweise kehrte er 1945 noch nicht nach Deutschland zurück, sondern widmete sich in der kaukasischen Bergeinsamkeit den Übersetzungen philosophischer Schriften russischer revolutionär-demokratischer Schriftsteller wie Herzen, Belinski, Tschernyschewski, Dobroljubow. Hier sah er eine Möglichkeit, die sozialistische Kulturentwicklung in Teilbereichen nachzuvollziehen, was ihm später als Kulturpolitiker teilweise auch gelang. Aber sein politischer Weg blieb nicht unumstritten, der fast Siebzigjährige mußte sich seit 1963 auf den kulturellen Bereich beschränken, obwohl er stets die Polit-Kultur proklamierte. Er war ein streitbarer marxistischer Theoretiker, wäre aber im Grunde seines Herzens viel lieber ein jugendbewegt-überschwänglicher Berufsrevolutionär geblieben.
Quelle: Deutsche Biographie, NDB 13 (1982)
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